Feb 162017
 

Mit etwa 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die Heilandskirche in Moabit gut gefüllt, als das Bezirksamt Mitte Anfang Februar zur Informationsveranstaltung über die beiden Moabiter Milieuschutzgebiete einlud. Nach etwa 40 Minuten Powerpoint-Vorträgen zu den notwendigen Gebietsuntersuchungen vor Einführung des Milieuschutzes, zu den geltenden Antrags- und Genehmigungsverfahren und zur Arbeit der Mieterberatung, die in den hinteren Reihen wohl kaum lesbar waren, meldeten sich viele – teilweise auch enttäuschte – Mieterinnen und Mieter zu Wort.

Die Einführung neuer Milieuschutzgebiete im Bezirk Mitte hat außerordentlich lange auf sich warten lassen. Bezirksverordnetenversammlung und Mieterinitiativen bemängelten immer wieder Blockade, Zeitverzögerungen und insbesondere die Weigerung des damals zuständigen Baustadtrats Carsten Spallek (CDU) vorab einen Aufstellungsbeschluss zu erlassen, mit dem bereits vor Einführung des Milieuschutzes z.B. die Umwandlung in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt hätte gestellt werden können. Doch seit Mai 2016 sind in Wedding und Moabit fünf neue Soziale Erhaltungsverordnungen nach § 172, Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) in Kraft getreten. Da zwischenzeitlich für Berlin auch die Umwandlungsverordnung erlassen wurde, die in Milieuschutzgebieten gilt, erhoffen sich viele Menschen einen echten Schutz vor Verdrängung.

Doch zunächst ging es im Bezirk Mitte weiterhin langsam voran. Erst im Oktober 2016 konnte die Mieterberatung Prenzlauer Berg, die vom Bezirk Mitte für die neuen Gebiete beauftragt wurde, ihre Arbeit aufnehmen – seitdem berät sie regelmäßig montags von 16-18 Uhr und donnerstags von 10-12 Uhr im Stadtteilladen, Krefelder Straße 1a. Die Informationsflyer der Beratung konnten sogar erst Anfang Dezember in die Hausbriefkästen verteilt werden. Der neue Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe (SPD), der an der Veranstaltung teilnahm, fragte nach, wer von den Anwesenden einen Flyer erhalten habe – es war gut die Hälfte. So ist es nicht verwunderlich, dass sich von Oktober bis Dezember 2016 nur 25 Mieter beraten ließen. Doch ab Januar 2017 habe die Zahl der Beratungen zugenommen, erklärt Anne Klitzing von der Mieterberatung. Christian Kehrt stellte sich als Mieterberater vor Ort vor.

Wo kann Milieuschutz helfen?

Ziel einer Milieuschutzsatzung ist es aus städtebaulichen Gründen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen und zu erhalten. Deshalb müssen sich Eigentümer und Investoren für geplante Rückbauten oder Abrisse von Wohngebäuden sowie für grundsätzliche bauliche Veränderungen (z.B. Grundrissänderungen, Anbau von Fahrstühlen oder Balkonen) vom Bezirksamt besondere Genehmigungen einholen. Luxusmodernisierungen sollen verhindert werden. Doch haben Vermieter, die lediglich den sogenannten „zeitgemäßen Ausstattungsstandard“ herstellen (beispielsweise Bad oder moderne Heizung) oder „energetisch“ sanieren wollen, darauf laut Bundesgesetz einen Anspruch: solche Modernisierungen kann ein Bezirksamt auch mit Milieuschutz nicht verhindern. Allerdings gelten hier als zusätzliches Prüfkriterium die „gebietsspezifischen Verordnungsmieten“. Das Bezirksamt verhandelt bei der Genehmigung der Baumaßnahmen mit den Eigentümern über deren Einhaltung.

Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen muss beantragt und genehmigt werden. Allerdings gibt es hier im Baugesetzbuch etliche Ausnahmen, wie Erbfall, Eigenbedarfsnutzung oder Ansprüche, die schon im Grundbuch eingetragen waren. Einer dieser „Ausnahmetatbestände“ ist die Verpflichtung nach Umwandlung in eine Eigentumswohnung in den ersten sieben Jahren nur an die Mieter zu verkaufen. Doch Mietern, die sich den Kauf nicht leisten können, hilft das überhaupt nicht, zumal sie bislang in Berlin laut Gesetz zehn Jahre vor Eigenbedarfskündigung geschützt sind – und diese Schutzfrist verlängert sich nicht. Dazu erklärte Baustadtrat Ephraim Gothe, dass eine Bundesratsinitiative gestartet werden solle, den entsprechenden Paragraphen im Baugesetzbuch zu streichen. Es sind bereits Anträge zur Umwandlung für mehrere Moabiter Häuser bekannt geworden, wie in der Bandel- oder Rostocker Straße.

In der Veranstaltung kamen viele Fragen auf, von denen einige nicht endgültig beantwortet werden konnten, da der Bezirk erst Erfahrungen sammeln muss. Kritisiert wurde beispielsweise, dass trotz hohem Verdrängungsdrucks der Milieuschutz nicht für Moabit-Süd gilt. Es wurde ein Fall aus der Emdener Straße geschildert, wo der Hauseigentümer im März 2016 eine Modernisierungsankündigung mit 25% Mieterhöhung wegen energetischer Sanierung verschickt habe. Die Baumaßnahmen begannen aber erst im August 2016, als der Milieuschutz bereits in Kraft getreten war. Obwohl diese Modernisierung weder beantragt noch genehmigt war, erhielten die Mieter keine Unterstützung für einen Baustopp.

Eine Mieterin aus der Beusselstraße war wiederum sehr verärgert, dass ihr Haus nur 10 Tage, bevor die Milieuschutz-Satzung in Kraft trat, in Eigentumswohnungen umgewandelt werden konnte. Die Mieter hätten sich schon auf den schon angekündigten Milieuschutz verlassen. Gefragt wurde außerdem, ob in Notfällen das Bezirksamt von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen will und ob genügend Personal für die Bearbeitung der Anträge zur Verfügung steht, denn das Bezirksamt hat nach Abgabe aller benötigter Unterlagen dafür nur einen Monat Zeit. Weiterhin wurde gefragt, wann die Beobachtungsgebiete neu untersucht werden und wie rechtssicher die Verordnungsmieten seien, wenn Hausbesitzer dagegen klagen. Eine Frage zu den aktuellen Mieten in Sozialwohnungen wurde leider nicht beantwortet.

Als weiteres Problem wurde die massiv zunehmende Vermietung von möblierten Zimmern oder Wohnungen in Moabit zur Sprache gebracht. Bereits 37,4% aller Neuvermietungsangebote im Bezirk Mitte entfallen auf dieses Segment. Baustadtrat Gothe versprach das Thema anzugehen und an die zuständige Senatsverwaltung heranzutragen. Nachdem das Bezirksamt auf mehrere Fragen zur energetischen Sanierung erklärt hatte, dass dafür keine Spezialisten bereit ständen, riet eine Teilnehmerin den Mietern sich mit diesen Fragen an die Energieberatung der Verbraucherzentrale zu wenden. Einzelne Fragen konnten am Schluss der Veranstaltung noch mit den Verantwortlichen individuell besprochen werden.

Übrgens hat der Runde Tisch gegen Gentrifizierung bei der Veranstaltung dieses Flugblatt zum Milieuschutz verteilt und wird die Entwicklung weiter kritisch begleiten.

Dieser Text erscheint gekürzt in der neuen „ecke turmstraße„, die ab Montag, den 20. Februar 2017 verteilt wird.

Informationen zum Milieuschutz (auch zuständige Bezirksamtsmitarbeiter*innen) auf der Webseite des Bezirksamts

Mieterberatung für die Gebiete Waldstraße und Birkenstraße:
Mo 16–18 Uhr, Do 10–12 Uhr im Stadtteilladen, Krefelder Straße 1a
zurzeit nur telefonisch 443381-23
Telefon 443381-0 (auch außerhalb dieser Zeiten)
Mieterinnen und Mieter sollten sich so früh als möglich melden!

Nachtrag:
Weiteres Milieuschutzgebiet in Moabit „Thomasiusstraße“ (zwischen Paul- und Thomasiusstraße) wurde am 18. Oktober 2018 beschlossen (BVV Drs. 1507/V). Hier sind die Satzung, Gebietskarte und Vertiefende Untersuchung zu finden. Wenn die Satzung im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht ist, kommt alles auch auf die o.g. Webseite des Bezirksamts.

Berliner Woche vom 3.11.2018 und vom 8.6.2019.

Unser aktuelles Flugblatt (2021) für Häuser, die in einem der drei Milieuschutzgebiete verkauft wurden.

  10 Responses to “Milieuschutz – keine zu hohen Erwartungen!”

  1. Guter Problemaufriss mit vielen Daten und Beispielen:
    https://taz.atavist.com/zusammen#chapter-2034335

  2. Milieuschutz nur bei Baumaßnahmen wirksam – Mietpreisbremse (fast) gar nicht ! Aber der § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes könnte helfen – mit übersichtlicher Tabelle der entsprechenden Mietpreise am Baispiel Altbau bis 1918:
    http://berlinappell.blogsport.de/2017/10/01/mietenbremse-wenig-praktikabel-mietpreisueberhoehungen-nach-5-wirtschaftsstrafgesetz-ahnden/

  3. Hier gibt es noch viel mehr Kommentare und verschiedene Anfragen in der BVV zum Thema:
    http://www.moabitonline.de/27966

  4. In Wilmersdorf brauchte es einen „Einwohnerantrag“ um das erste Milieuschutzgebiet auf den Weg zu bringen – allerdings ist das noch nicht so wirklich klar, denn auch zum Klausener Platz (Charlottenburg) gab es schon einen Einwohnerantrag vor 14 Monaten und seitdem ist noch nichts passiert:
    https://leute.tagesspiegel.de/charlottenburg-wilmersdorf/macher/2018/11/23/64746/erstes-milieuschutzgebiet-in-wilmersdorf-geplant/

  5. Bezirksamtsvorlage zur Mieterberatung in Milieuschutzgebieten – aus den BA-Beschlüssen vom 19.2.19 (BA-Vorlage 701/2019 – BVV-DS 1025/V):
    https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksamt/beschluesse-des-bezirksamts/2019/701_2019_mieterberatung-milieuschutz_bav_ds-1025.pdf

  6. Ein tolles Tutorial zu Milieuschutz, Vorkaufsrecht, Abwendungsvereinbarung von der Schöneweider 20:
    https://www.youtube.com/watch?v=X4O6emQS46Q&feature=youtu.be

  7. Jetzt im Oktober 2022 wird vom Bezirksamt überprüft, ob die Voraussetzungen für die im Jahr 2016 festgesetzten sozialen Erhaltungsgebiete Birkenstraße und Waldstraße gemäß § 172 Baugesetzbuch weiterhin vorliegen …. Dafür gibt es Haushaltsbefragungen bei 12.500 zufällig ausgewählten Haushalten.
    Beteiligung ist wichtig, damit verlängert werden kann!
    https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/pressemitteilungen/2022/pressemitteilung.1250167.php

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