Mai 282016
 

Im Herbst 2015 wurde klar, dass das Haus, in dem bereits einige Wohnungen nicht mehr vermietet worden waren, modernisiert werden soll und die bisherigen Mieter dabei stören. Beim Stadtteilplenum Moabit West im Januar 2016 baten sie um Unterstützung und wurden über die Regularien in Sanierungsgebieten informiert, die u.a. beinhalten, dass eine sanierungsrechtliche Genehmigung der Modernisierungsmaßnahmen und ein Sozialplan notwendig sind. Das MieterMagazin des Berliner Mietervereins berichtete in der Ausgabe Nr. 4/2016, löschte den Direkt-Link zum Artikel (im pdf auf S. 9 Update: der Text wurde später geweißt) jedoch, nachdem er eine Unterlassungserklärung der Hausverwaltung erhalten hatte. Der Runde Tisch gegen Gentrifizierung fragte bei Mieter*innen an, ob sie eine Ausstellungs-Tafel für die Moabiter Ergänzung der Ausstellung „Kämpfende Hütten. Urbane Proteste in Berlin von 1872 bis heute“ im ZK/U in der Siemensstraße 27 beisteuern möchten. Maria Agelopoulou hat diese erarbeitet. Hier dokumentieren wir ihren sehr persönlichen Text:

„Als ich im Jahre 1998 aus dem 1. Stock meiner elterlichen Wohnung im Hause Zwinglistraße 36 in Berlin-Moabit in den 4. Stock zog, dachte ich, dass ich in dieser Wohnung alt werden kann. Klar, in der 3-Zimmer-Wohnung, in der vorher ein altes Ehepaar wohnte, gab es sehr viel zu tun. Jedes einzelne Zimmer brauchte neuen Glanz; die alten Kachelöfen und die mit Holz verkleideten Decken sollten raus. Die Fußbodendielen, die unter den Teppichen zum Vorschein kamen, mussten ausgebessert und abgeschliffen werden. Das Badezimmer, welches mit Ölfarbe gestrichen war und kein Handwaschbecken hatte, sollte durch den Abriss einer Trennwand mit der angrenzenden  Kammer verbunden und somit vergrößert werden. Die Wände der Küche waren mit türkisfarbenen Plastikpaneelen in Fliesenoptik verkleidet.

Ja, es dauerte eine ganze Weile und es kostete eine ziemliche Stange Geld und Kraft, um während des Studiums die Wohnung nach meinen eigenen Vorstellungen und Wünschen zu renovieren und in den jetzigen Zustand zu versetzen. Die Öfen wurden also abgetragen und die Dielen instand gesetzt und abgeschliffen. Das Badezimmer wurde vergrößert und die Decke und Wände gefliest, die Abwasserrohre wurden verkleidet und ein Handwaschbecken wurde eingebaut. Das Highlight des Bades wurde eine Eckbadewanne; das Highlight der Küche eine Einbauküche in Hochglanzoptik. Die Zimmerwände wurden tapeziert und gestrichen, die Fenster und Türen neu lackiert.

Und nun ist es knapp ein Jahr her, dass leerstehende Wohnungen im Hause nicht mehr weiter vermietet werden. Warum das so ist, hat sich im Oktober 2015 herausgestellt, als die Hausverwaltung Helvetica Services GmbH durch einen Hausaushang ankündigte, dass in den kommenden Tagen einem „Mieterberater“ der Zutritt zu allen Räumlichkeiten der Wohnung gewährt werden soll. Diese Begehung sollte der technischen Bestandsaufnahme und Bestimmung notwendiger Sanierungsmaßnahmen am Objekt und in den Einheiten dienen.

So kam es, dass ich einige Tage später gegen 20 Uhr, Herrn Görlich, dem „Mieterberater“ und Inhaber einer Immobiliengesellschaft, die Tür öffnete. Im Hausflur noch stülpte er sich Einweg-Schuh-Überzieher über und spazierte in seinem klassisch-britischem Trenchcoat durch meine Wohnung. Er fotografierte um sich herum und stellte Fragen zu den von mir gemachten Einbauten. Er verkündete, dass umfangreiche Sanierungsmaßnahmen stattfinden werden und dass nach der Privatisierung der Wohnung, die Miete sodann auf über 1.300 EUR steigen würde. Die selbst eingebauten Küchen und Bäder würden sodann neu gestaltet werden, unabhängig vom jetzigen Zustand und den investierten Kosten, hieß es. Schließlich habe man jahrelang von der günstigen Miete profitiert.

In den nachfolgenden Tagen gab es eine Wurfsendung in die Mieterbriefkästen und einen Hausaushang mit „Mietwohnungsangeboten im Umfeld“. Hier wurden vier 1-2-Zimmer-Wohnungen zwischen 31 qm und 58 qm für ca. 12 EUR/qm zzgl. Heizkosten in der Berlichingenstraße 5 in Berlin-Moabit angeboten mit dem Vermerk „Erstbezug nach Sanierung“, Gasetagenheizung und Warmwasser über Durchlauferhitzer. Die Wohnungen seien ausschließlich für die Mieter des Hauses Zwinglistraße 36 bestimmt und stünden dem freien Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung. Es folgte noch ein Aushang mit fünf weiteren Mietwohnungsangeboten in Lichtenberg, Neukölln, Mariendorf und Lichtenrade, jeweils um die 11 EUR/qm zzgl. Heizkosten.

Im Dezember 2015 folgte sodann ein persönliches Schreiben des Herrn Görlich, der umfangreiche Baumaßnahmen wie Fassadendämmung, Dachgeschossausbau, Einbau einer Zentralheizung, Strangsanierung, Fenstererneuerung, Hofneugestaltung  ankündigte mit dem Vermerk, dass man mit einer „sehr hohen Modernisierungsumlage auf die aktuelle Miete“ rechnen müsse und empfahl „einen Auszug in Erwägung zu ziehen“, da die „Baustellenzeit ca. 1,5 Jahre“ betragen würde.

Zwischen Hauseingang und Treppenhausabsätzen fanden nunmehr zahlreiche „Gespräche mit dem Nachbarn“ statt; es wurden Treffen organisiert, um sich über die bislang gemachten Erfahrungen auszutauschen und die weitere Verfahrensweise zu besprechen. Im Februar 2016, so kündigte der Mieterberater an, sollte die Modernisierungsankündigung bei jedem Mieter eingehen, welche aber wegen eines noch juristisch zu klärenden Sachverhalts, dann erst im April 2016 erfolgte. Die Modernisierungsankündigung umfasst 24 geschriebene Seiten sowie diverse Anlagen wie die Vollmacht des Eigentümers, eine zu unterzeichnende Zustimmungs- und Duldungserklärung, Bauzeichnungen mit dem Vermerk, dass der übersandte Grundriss leider nicht dem derzeitigen Grundriss meiner Wohnung entspricht.

Mein erster Anruf gilt dem Berliner Mieterverein. Hier nehme ich einen ersten Beratungstermin wahr. In der Ausgabe April 2016 hat dieser bereits einen Artikel über die Vorgehensweise des Mieterberaters veröffentlicht. Für die umfangreiche Modernisierungsankündigung hat auch der beratende Anwalt nur ein Kopfschütteln übrig. Die Modernisierungsmieterhöhung beträgt 418,39 EUR monatlich. Neben der bisherigen Betriebskostenpauschale kommen noch Vorauszahlungen für die Betriebskosten des neuen Aufzuges und die Heizkosten, die nunmehr nicht nur verbrauchsabhängig sind. Die monatliche Mehrbelastung beträgt somit 530,39 EUR.

Mittlerweile hat sich auch die ASUM GmbH eingeschaltet, eine Gesellschaft, die in Sanierungsgebieten nicht nur kostenlose Mieterberatungen vornimmt, sondern auch in Zusammenarbeit mit dem Stadtentwicklungsamt Sozialplanverfahren aufstellt und auch zwischen Mieter und Vermieter vermittelt. So kommt es, dass ein gutes halbes Jahr nach dem ersten Auftritt des Mieterberaters kurzfristig von der ASUM eine Mieterversammlung einberufen wird, bei der Vertreter der Hausverwaltung und Bezirksamtes Mitte teilnehmen. Endlich gibt es eine Kontaktmöglichkeit zur Hausverwaltung, denke ich mir. Schließlich war es in den vergangenen Wochen immer so, dass die Hausverwaltung auf die gestellten Fragen nicht antwortete, sondern diese direkt an den Mieterberater weiter leitete. Schnell ist ersichtlich, dass beim Vermieter kein Interesse besteht, die Mieterstruktur beizubehalten. Gerne sind diese bereit, Gespräche mit Mietern zu führen und Vereinbarungen zu treffen, stellen jedoch klar, dass sie nicht ausschließen können, „dass die eine oder andere Träne fließen wird“. Nachdem einige der Mieter sich über die Aussagen und den Umgangston des von der Hausverwaltung eingesetzten Beraters, der an der Versammlung nicht teilnimmt, äußern, wird dieser aus dem Sanierungsprojekt zurück gezogen. Fragen der Mieter, wieso neu eingebaute Fenster und Heizungen nach zwei Jahren wieder ausgetauscht werden, werden immer wieder mit dem Hinweis der „energetischen Sanierung“ beantwortet. Und schließlich erläutert auch der teilnehmende Rechtsanwalt der Mieterberatungsstelle, dass ein Bad, welches vor zwei bis drei Jahren erneuert wurde, ein altes Badezimmer ist. Das Haus Zwinglistraße 36 wird als „Energiehaus“ geführt, teilen die Vertreter der Hausverwaltung weiterhin mit und verweisen auf die Energiesparmaßnahmen der Bundesregierung. Öffentliche Fördermittel der KfW wurden nicht beantragt.

Die ASUM vergibt auf der Versammlung persönliche Beratungstermine. Die Beraterin stellt mir vor der Begehung meiner Wohnung persönliche Fragen zum Familienstand, Beruf und Gehalt, welche Arbeiten ich in der Wohnung ausgeführt habe und welche Veränderungen ich dulden würde. Einen finanziellen Härtegrund kann sie nicht feststellen, auch wenn die neue Miete mehr als 30 % meines Gehaltes entspricht. Und auch die Frage, wieso ich hier nicht ausziehen möchte, stellt sie mir. Ich sage ihr, dass ich in diesem Haus geboren bin, seit 43 Jahren hier wohne und meine Eltern die Wohnung im 1. OG des Hauses bewohnen. Gerade jetzt im Alter ist es schön, meine Eltern in meiner Nähe zu wissen, ihnen schnell helfen zu können, wenn schnelle Hilfe nötig ist. Meine Familie, meine Freunde und mein Verein sind in Moabit. Nein, ich möchte hier nicht weg!

Seit so vielen Monaten nun setze ich mich mit diesem Thema auseinander, schlaflose Nächte begleiten mich, manchmal bin ich wütend und manchmal traurig. In sechs Wochen sollen die ersten Arbeiten beginnen. An die Gewerke am Dach direkt über mir möchte ich gar nicht denken. Über die Höhe der Mietminderung während der Baumaßnahmen gibt es noch keine konkreten Vorstellungen, sagte der Vertreter der Helvetica. Aber er weiß, dass wenn die Arbeiten am Dach nicht nach Plan laufen, die Handwerker auch samstags hämmern werden.

Die Modernisierungsmaßnahme hat noch nicht einmal begonnen, aber bereits jetzt sind mindestens genauso viele Termine wahrzunehmen wie während dessen. Nicht nur in meiner Freizeit werde ich eingeschränkt, auch mein Arbeitgeber entlässt mich zähneknirschend vorzeitig aus dem Dienst mit den Worten, dass die angehäuften Fehlstunden nachgearbeitet werden müssen. Und so kommt es, dass nicht einmal der 100.000-EUR-gläserne Fahrstuhl, der so manch einen Treppengang erleichtert, mir Freude auf die bevorstehende Modernisierung bringt.

Berlin, 17.05.2016, Maria Agelopoulou

Mieterin im Hause Zwinglistraße 36, Berlin-Moabit“

  3 Responses to “Zwinglistraße 36 – Sanierungsopfer? Nein, danke!”

  1. Hi Maria,
    ich hab diesen Scheiß in der Oldenburger 43 durch, ich wünsch dir ganz viel Kraft, du wirst sie brauchen. 🙁

  2. Hier geht es zwar einerseits um die Kopenhagener 46, aber doch insgesamt mehr um Rendite, wie das funktioniert hat und nun nicht mehr so leicht funktioniert ohne rabiate Entmietung und das in der Welt:
    http://www.welt.de/print/wams/finanzen/article157100536/Machen-Ruinen-noch-reich.html

  3. Zitat aus dem Video des Tagesspiegels: „Man muss nicht immer dieselben Fehler machen!“
    Einkommen und Mieten klaffen in Berlin extrem auseinander, wenn auch mit Durchschnittszahlen der Sache nicht wirklich beizukommen ist.
    http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/wohnen-und-leben-in-berlin-wenn-niedrige-einkommen-auf-steigende-mieten-treffen/14866462.html

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